Der „Preis“ der Würde

Warum ich die Unterdeckungen des sozialen Zweigs unserer Kanzlei aus meinem Gewinn trage

Es gibt Entscheidungen im Leben, die nicht betriebswirtschaftlich sind – und es auch nicht sein sollten. Der soziale beziehungsweise non-profit Zweig meiner Kanzlei ist eine solche Entscheidung. Dass ich seine Unterdeckungen ausgleiche, ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer bewussten Haltung. Ich möchte mit diesem Beitrag erklären, warum mir das wichtig ist.

1. Die „Größe“ einer Gesellschaft

Der Sozialstaat ist keine Selbstverständlichkeit. Er viel nicht vom Himmel. Er ist das Ergebnis von Kämpfen, Reformen und der Einsicht, dass sich die „Größe“ einer Gesellschaft daran zeigt, wie sie mit den Schwächsten umgeht.

2. Die Menschenwürde ist kein Münzwurf

Artikel 1 des Grundgesetzes darf kein leeres Versprechen sein. Die Würde des Menschen ist unantastbar – das gilt auch, wenn jemand Grundsicherung beantragt, mit dem Jobcenter streitet oder gegen eine fehlerhafte Rentenentscheidung vorgeht.

Leider sieht die Praxis anders aus: rund 50 % der Bescheide im Sozialrecht sind falsch. Das ist kein Betriebsunfall, das ist ein systemisches Problem. Trotz der Heerscharen an Verwaltungsangestellten ist die Chance auf einen korrekten, sozialrechtlichen Bescheid genauso groß (oder klein), wie bei einem Münzwurf.

Ich wundere mich, warum es in der bundesdeutschen Gesellschaft dazu keinen breiten Aufschrei gibt. Für mich ist dieser Zustand jedenfalls nicht akzeptabel.

3. Rechtsstaat bedeutet: alle haben Anspruch auf rechtliches Gehör und einen wirksamen und niederschwelligen Zugang zum Recht

Viele Menschen, die in sozialrechtlichen Verfahren stecken, haben weder die Kraft noch das nötige Wissen, sich durch dieses Dickicht zu kämpfen. Als Anwalt sehe ich es als Teil meiner beruflichen Verantwortung, genau hier zu ermöglichen.

Das ist keine karitative Geste, sondern eine Konsequenz aus dem anwaltlichen Berufsethos: Rechtsschutz muss auch dann möglich sein, wenn jemand ihn sich eigentlich nicht leisten kann.

Dass der deutsche Staat die Anwaltschaft mit dieser Verantwortung allein lässt, ist ein Skandal, aber keine Entschuldigung dafür, als Anwalt untätig zu bleiben.

Dass der Bundesrechtsanwaltskammer hierzu seit Jahren nichts einfällt ,ist ihr eigenes epochales Versagen von de-legitimierenden Ausmaßen.

4. Herkunft prägt

Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man seine Rechte einfordern und um seinen Platz in der Gesellschaft kämpfen muss. Meine Familie hat sich ihren Platz immer erkämpfen müssen. Ich komme aus einem Elternhaus ohne akademischen Hintergrund: mein Vater war gelernter Gärtner, meine Mutter floh als Kind in die Bundesrepublik und erlernte den Beruf der Apothekenhelferin. Sie holte ihr Abitur später auf dem zweiten Bildungsweg nach, als ich bereits in der Mittelstufe war.

Diese Realitäten prägen meine Sicht auf die Welt: ohne den Sozialstaat und die Würdegarantie des Grundgesetzes, wäre uns der Aufstieg sicher nicht möglich gewesen.

Aus dem Können und dem Haben folgt der Imperativ des Sollens. deshalb ist es für mich klar, dass es in meiner Kanzlei einen sozialen Zweig geben muss und ich dessen Existenz auch finanziell trage.

5. Ich kann – also muss ich

Eine Freundin sagte mal, es gäbe unter denen, denen der soziale Aufstieg gelingt zwei Typen: die einen schlagen hinter sich die Tür zu, kaum, dass sie es hindurch geschafft haben. Und dann gibt es die, die einen Keil unter die Türen schieben, damit möglichst viele Menschen folgen können. Beide sind bei denen, die schon zum exklusiven, inneren Kreis, zum „Establishment“, gehören, nicht gern gesehen. Mit denjenigen, die die Türen hinter sich zuschlagen, lässt sich aber leben. Schlimm sind aus Sicht des Establishments aber diejenigen, die die Türen offen halten, denn sie stellen „das System Türen“ in Frage.

Meine Tätigkeit im Kunstrecht und im Gewerblichen Rechtsschutz – ermöglicht es mir, sehr gut zu leben. Sie macht mich beruflich und wirtschaftlich aber vor allem moralisch unabhängig. Konkret bedeutet das, dass mir wichtig ist, was meine Familie und meine (sehr wenigen) Freunde von mir halten und von mir sagen. Aber die Anerkennung arrivierter Kreise oder meiner „Peers“ war mir immer egal und ist es bis zum heutigen Tag. Dafür bin ich dankbar, denn für mich bedeutet dies vor allem die Freiheit nach meinen eigenen Einsichten zu leben.

Zu diesen Einsichten gehört: Gerechtigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Man erreicht sie nicht, man praktiziert sie. Als Anwalt bin ich ein Teil davon. Und ich glaube fest daran, dass es unsere Verantwortung ist, für Menschen da zu sein, die ohne anwaltliche Unterstützung durchs Raster fallen würden. Es geht mir dabei nicht um Altruismus, sondern um intellektuelle und moralische Konsequenz.

6. die-sozialkanzlei.de

Ich habe mich also entschieden, einen Teil meiner (eigentlich überbordenden) wirtschaftlichen Freiheit dafür einzusetzen.

  1. Weil ich es kann,
  2. weil ich finde, dass es das ist, was getan werden muss und
  3. weil es mich nicht die Bohne interessiert, was arrivierte Kreise davon halten.